Die Tür, aus der Serie Kloster der barmherzigen Brüder zu Montabaur, 2017/ 2020,
Camera obscura, Fotografie. Wall paper, 325 x 495 cmSerie Schloss Biesdorf.
Die Zukunft ist keine Verlängerung der Gegenwart
Begehbare Camera obscura, Dresden 2020
Nach dem Lockdown in der Corona-Pandemie ist eine Vorstellung der Zukunft noch abstrakter geworden. Die Vergangenheit ohne Pandemie ist noch kein Jahr alt. Die Gegenwart scheint still zu stehen. Wie wird unsere Zukunft aussehen?
Durch die Installation der begehbaren Camera obscura verläuft eine Art imaginäre visuelle Achse zwischen der Vergangenheit vor dem Fenster, der Gegenwart im Raum der Camera obscura und der Zukunft im Ausstellungsraum. Seit dem pictorial turn Ende der 1990er Jahre gilt die Camera obscura als Ausgangspunkt einer bildlichen Vorstellung – für die Künstlerin Bärbel Möllmann ist sie das Instrument zur Reflexion von Wahrnehmung, Zeit und Raum.
Der Platz im Zimmer 52, 2021
13. März 2020. Es ist ruhig im Hotelzimmer 52 direkt über dem Worringer Platz in Düsseldorf. Ruhiger als üblich. Normalerweise rauschen die Autos über die Kreuzung, auch von Fußgängern und Radfahrern ist sie dann belebt. Jetzt ist es still. Das Zimmer ist abgedunkelt. Nur ein Lichtstrahl fällt durch die Linse am Fenster auf die gegenüberliegende Wand. Dort bildet sich der Platz mit der Fünfzigerjahre-Architektur auf der grauen Tapete ab. Alles scheint auf dem Kopf zu stehen – nicht nur das Bild der Camera obscura. Ein Anruf in die isolierte Blase des Hotelraums: Lockdown ab heute 18.00 Uhr. Es ist einsam. Ein Vorgeschmack auf die bevorstehende Zeit. Doch das weiß ich erst später. – Morgens wache ich auf. Das Zimmer ist hell erleuchtet. Die Sonne scheint und wirft ihre Strahlen in die Raumecke direkt über meinem Kopf – und mit ihnen wieder das Bild von draußen. Eine rege Bewegung direkt in dieser einen Ecke. – Verwirrung. – Was ist passiert? Ist es besser abzubrechen, rauszugehen, zu flüchten? Wohin? Oder besser bleiben?
Ein Kontrollblick aus dem gläsernen Hotellift gibt Aufklärung: Eine lange Schlange vor der Apotheke. – Beruhigung. – Die Autos rauschen wieder, wenn auch weniger als üblich. – Der Blick schweift über die hell erleuchtete Zimmerdecke. In der Sonne glänzen die vorbeifahrenden Autos.
Es klopft. Ein erster Besucher. – Kommen Sie rein. Aber halten Sie bitte zwei Meter Abstand. Sie können sich auf das Bett setzen, da rechts an der Wand. Sitzen Sie gut? Erst ist es ganz dunkel. Nur ganz langsam gewöhnen sich die Augen an das Dunkel. Dann, irgendwann werden Sie den Lichtstrahl auf der Decke sehen. – Stille. Die andere Stimme antwortet aus dem Off. – Ich sehe nichts. Wohin muss ich gucken? – Oben an die Decke, dorthin, wo der Lichtstahl hinführt. – Wieder Stille. – Ah, jetzt sehe ich was. Wie schön! Es ist, als stünde die Welt auf dem Kopf.
Jedes hohle Objekt, auch jeder Raum lässt sich in eine Camera obscura verwandeln, einfach indem man es bis auf eine kleine Öffnung verdunkelt.
Die Begehung einer Camera obscura ist eine besondere Erfahrung: Für das Bilderlebnis muss der Betrachter in die völlige Dunkelheit der Camera obscura eintreten und warten, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Erst nach einiger Zeit erscheint, auf der gegenüberliegenden Wand der Öffnung, die umgekehrte Projektion dessen, was sich vor dem Fenster befindet.
Die Wahrnehmung erfordert Zeit. Nur langsam wird das Bild sichtbar und erzeugt das Gefühl, in
einer anderen Welt zu sein, nicht unähnlich der eines Tauchers unter Wasser. Je länger man sich in dem Raum befindet, desto mehr vertieft man sich in die Welt der Camera obscura und verliert jegliches Zeit- und Raumgefühl.
Vita | ||
1970 | geboren in Bocholt, Germany arbeitet Künstlerin und Kuratorin in Berlin und Düsseldorf, Deutschland | |
1999/2000 | Tyler School of Art, Philadelphia, USA | |
1994-2002 | University of Applied Science, Department of Design, Photography and Media Bielefeld | |
Preise / Auszeichnungen | ||
2008 | Käthe-Dorsch-Stiftung, Berlin / Käthe-Dorsch-Foundation | |
2000 | Dr. Herbert-Schober-Förderpreis given by the German Photographic Society, Medicine and Science Photography Department | |
1999 | 4th Aenne-Biermann-Preis for Modern German Photography | |
Ausstellungen (Auswahl) | ||
2014 | Kunstpunkte Atelier Kamps, Düsseldorf | |
2013 | »more or less« WTC Galerie Hamburg | |
2011-10 | Playing among the Ruins«, Museum of Contemporary Art Tokyo »VISIONS NYC – afterthoughts«, Art Laboratory Berlin | |
2010 | Neue Schule für Fotografie, Berlin, Germany »Der Wert des Einzelnen« Liebfrauenkirche Bocholt, NRW, Germany (E)»Der gedehnte Blick« FLUSS – Initiative für Foto- und Medienkunst- Schloß Wolkersdorf, Austria »Der gedehnte Blick« k4-galerie, Saarbrücken, Germany | |
2009 | Strahl Dich aus!, Samuelis-Baumgarte-Galerie, Bielefeld Art of Emergency, Artneuland, Berlin | |
2008 | Die Annahme von Werten, 3. European Month of Photography Berlin | |
2008-07 | Die Annahme von Werten, Kunsthaus, Bocholt | |
2006 | What do you think about the West?, Sharjah Museum of Art, Shajra, V.A.E. Goethe-Institut Abu Dhabi/V.A.E. Egopark, Oakland, Kalifornien/USA Galerie 21, Bredevoort/Niederlande Galerie Delta 35, Berlin | |
2005 | What do you think about the West?, Bookfair Frankfurt, International Centre, Frankfurt | |
2004 | women world wide, Bundeskanzleramt / Federal Cohancellor Building, Berlin, Germany | |
Looking Through the Hole – Art with the pinhole camera, K4 Gallery, Saarbrücken, Germany, group exhibition | ||
2003 | Visions NYC – afterthoughts, Diane Boisvert Gallery, Brooklyn, New York Gallery Samuelis-Baumgarte, Bielefeld, Germany | |
2002 | Visions NYC, Galerie Samuelis-Baumgarte, Bielefeld, (solo) |
Website: Bärbel Möllmann